Sehnsucht nach Sanders

Wie kann man die Muslime in den USA dazu bringen, wählen zu gehen? Wo beide großen Parteien so zögerlich sind, diese Gruppe überhaupt anzusprechen – aus Angst, Stimmen in der weißen Wählerschaft zu verlieren.

Keiner der beiden Kandidaten ist eine Identifikationsfigur für die Muslime. Donald Trump hat sich von Anfang an im Wahlkampf islamophober Rhetorik bedient und sich gegen diverse Minderheiten gerichtet, um Wähler zu mobilisieren und Kandidat zu werden. Im Vorwahlkampf war er damit erfolgreich.

Hillary Clinton wiederum, die eine etablierte Politikerin ist, hat sich gezielt von der muslimischen Community ferngehalten, ja von Minderheiten insgesamt. Außenpolitisch ist Clinton eher den Falken zuzurechnen, sie war für den Irak-Krieg, sie ist interventionistisch, sie hat ein neoliberales Wirtschaftsverständnis und versteht sich gut mit der rechtsgerichteten Regierung Israels.

Die Rolle der Khans im Wahlkampf

Dann kamen die Nominierungsparteitage. Bei Demokraten und Republikanern waren jeweils auch Muslime auf der Bühne. Die Demokraten hatten Khizr Khan und Ghazala Khan eingeladen, den Vater und die Mutter des US-Soldaten Humayun Khan, der 2004 im Irak getötet worden war. Wegen der Rede, die Khan mit Ghazala an seiner Seite auf dem Parteitag hielt, neigen die Muslime nun dem demokratischen Lager etwas mehr zu. Doch es ist keineswegs sicher, dass sich diese Unterstützung bis zum November aufrecht erhalten lässt.

Auch wenn sehr viele amerikanische Muslime gegen die Kriege im Irak und in Afghanistan waren, so haben die Würde und die Aufrichtigkeit der Kahns Sympathien in der muslimischen Community geweckt. Dass Khizr Trumps Behauptung, Opfer erbracht zu haben, infrage gestellt hat, dessen Verständnis der Verfassung und ob er je auf dem Nationalfriedhof Arlington war, war darüber hinaus rhetorisch schlagkräftig und hat Trumps Wahlkampf einen Dämpfer verpasst

Dass Trump dann zu punkten versuchte, indem er Ghazala wegen ihres angeblichen Schweigens angriff, die Debatte also auf das altbekannte, islamophobe Stereotyp von der unterdrückten und schweigenden muslimischen Frau lenkte, ging nach hinten los und schadete seinem Wahlkampf nur.

Muslime wären für Sanders gewesen

Wegen ihrer Skepsis gegenüber Hillary Clinton war die Mehrheit der amerikanischen Muslime ursprünglich für Bernie Sanders als Kandidat der Demokraten gewesen. Sanders hatte von allen Politikern den Muslimen die meiste Aufmerksamkeit geschenkt, indem er wortgewaltig gegen Islamophobie auftrat und bekannte Muslime in sein Wahlkampfteam aufnahm.

Dass Muslime eine wichtige Rolle in Sanders Wahlkampf spielten, hätten die Demokraten nutzen können, um sich deren Stimmen auch nach seinem Ausscheiden zu sichern. Aber Clinton macht es schwierig, die Unterstützung der Muslime zu gewinnen, eben weil sie ein anderes Verhältnis zur muslimischen Community hat, weil sie eine andere Einstellung zur inneren Sicherheit hat und in der Außenpolitik ein Falke ist. 

Alle in ihrer Unterschiedlichkeit einschließen

Während beziehungsweise unmittelbar nach den Nominierungsparteitagen haben die amerikanischen Muslime eine Kampagne gestartet, um eine Million Wähler zu mobilisieren. Sie hoffen, damit auf das Rennen Einfluss zu nehmen und der Islamophobie etwas entgegensetzen zu können.

Die muslimischen Wähler könnten in sechs umkämpften Staaten eine entscheidende Rolle spielen: in Florida, Ohio, Pennsylvania, Michigan, Illinois und Maryland. Drei dieser Staaten – Florida, Ohio und Pennsylvania – sind ausschlaggebend dafür, ob überhaupt ein republikanischer Kandidat eine Chance hat, ins Weiße Haus zu kommen. Das wird zunehmend schwierig.

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In den vergangenen 30 Jahren hat es viele demographische, politische, wirtschaftliche, soziale und religiöse Umwälzungen gegeben. An allem sind jetzt angeblich die Muslime schuld. Selbstverständlich haben die Terroranschläge in den vergangenen Jahren die nationale Debatte bestimmt. Aber zunehmende Unsicherheit, Angst und Fremdenfeindlichkeit lassen sich nicht allein darauf zurückführen.

Dort, wo der Wahlkampf sich wirklich auf amerikanische Muslime und den Islam an sich bezieht, hört man vereinfachende Slogans. Sie werden genutzt, um in Verbindung mit einem ohnehin vorhandenen negativen Image noch mehr Wähler auf der extremen Rechten zu mobilisieren. Eine vergleichbare Bigotterie und Fremdenfeindlichkeit beobachten wir auch gegenüber mexikanischen Einwanderern und gegenüber Afroamerikanern. Chinesen und asiatische Amerikaner werden wiederum für den angeblichen wirtschaftlichen Niedergang der USA verantwortlich gemacht.

Gegen Trump und gegen den Status quo

Für die amerikanischen Muslime ist die kommende Präsidentenwahl weit mehr als die Entscheidung über den einen oder den anderen Präsidenten. Diese Wahl wird entscheiden, in was für einem Land wir alle leben und was für eine Zukunft wir für unsere Kinder aufbauen. Noch wichtiger als diese Wahl ist aber, ob sich die Muslime in der Zivilgesellschaft und im demokratischen Prozess engagieren. Denn das wird darüber entscheiden, welchen Gesellschaftstyp wir haben und ob wir eine Politik machen können, die alle in ihrer Unterschiedlichkeit einschließt.

Trumps Versuch, die Angst, Fremdenfeindlichkeit und Islamfeindlichkeit der weißen Arbeiterklasse heraufzubeschwören, ist so gesehen ein letzter Versuch, ein imaginäres Amerika wiederherzustellen, das es nicht mehr gibt. Sicher ist derzeit nur, dass die Muslime ihre Stimme nicht den Republikanern geben werden und nicht Trump.

Die Demokraten allerdings könnten sich von Sanders Wahlkampf eine Scheibe abschneiden und die amerikanischen Muslime als Gleichberechtigte ansprechen, um gemeinsam die innen- und außenpolitische Agenda der USA zu gestalten. Wenn sie das nicht tun, werden sie keinen Erfolg haben.

Denn die zunehmend selbstbewussten Bürgerbewegungen werden nicht für die Aussicht auf einen politischen Status quo stimmen, der ihre Existenz in den USA und anderswo infrage stellt.